Heute erreichte mich eine mail,
mit einer kurzen Bericht über ein schnell-aufstrebendes Land in puncto Energie-Effizienz
Klar muss man auch das Umfeld sehen
und kann wahrlich nicht alles gutheissen, was dort geschieht,
dennoch find ich das diesem Fall doch ein paar beachtliche Maßnahmen echt zeitnah umgesetzt wurden
Lest selbst
ZitatAlles anzeigenTechnology Review - 11.08.2009
Energie
Es grünt so grün, wenn Kubas Lampen glüh'n
Während wir über die Zumutungen des Übergangs zu einem nachhaltigeren
Energiesystem streiten, macht das sozialistische Fossil in der Karibik
Nägel
mit Köpfen. Das ist eigentlich beschämend.
Von Niels Boeing [1]
Wir streiten über Atomkraft, über den Umbau des Energiesystems, studieren
Barack Obamas Ankündigungen, die USA auf einen grüneren Pfad zu bringen,
diskutieren über unsere Konsumentenmacht, umweltfreundlichere Produkte zu
etablieren, fragen uns, ob der Klimagipfel in Kopenhagen den Durchbruch bei
CO2-Emissionsreduktionen bringen kann. Alles in allem sind wir überzeugt,
dass wir hier schon ziemlich weit gekommen sind beim Ausbau der
Erneuerbaren
Energien und beim Umweltbewusstsein.
Und merken womöglich nicht, dass es ein nach allgemeinem Dafürhalten
rückständiges Land gibt, in dem eine "revolucion energética" stattfindet,
die ziemlich beeindruckend ist. Dieses rückständige Land ist Kuba, letzte
Bastion der Unverbesserlichen, die sich für die Segnungen des Kapitalismus
noch immer nicht erwärmen will. Laurie Guevara-Stone hat kürzlich auf
solarenergy.org [2] ein paar bemerkenswerte Fakten über die jüngste Etappe
der Energierevolution des 11,4 Millionen Einwohner zählenden Karibikstaates
seit 2006 zusammengetragen:
- "Innerhalb von nur zwei Jahren wurden fast zwei Millionen Kühlschränke,
über eine Million Ventilatoren, 182.000 Klimaanlagen und 260.000
Wasserpumpen ausgetauscht."
- "Klein-Neonlampen wurden kostenlos ausgegeben; nach sechs Monaten waren
fast alle der neun Millionen konventionellen Lichtquellen ersetzt."
- "Um das Energiesparen zu fördern, wurden die häuslichen Stromtarife
umgestellt. Haushalte, die weniger als 100 kWh pro Monat verbrauchen,
zahlen
0,09 Pesos pro Kilowatt. Für jede weiteren 50 kWh pro Monat steigen die
Raten dann sprunghaft. Verbraucher, die über 300 kWh pro Monat verbrauchen,
müssen 1,30 Pesos pro Kilowattstunde zahlen."
- "Mehr als 120.000 Überlandmasten wurden erneuert, 3.000 Kilometer Kabel
verlegt und 500.000 elektrische Zähler installiert."
Der WWF bescheinigt Kuba, als einziges Land der Welt sowohl beim
Ökologischen Fußabdruck als auch beim Human Development Index (HDI) im
grünen Bereich zu liegen: 1,8 Hektar Biosphärenverbrauch pro Person beim
Fußabdruck und ein Wert von 0,8 für den HDI.
Natürlich ist das sofort fragwürdig. Ist Kuba nicht eine Diktatur? In einem
autoritären Zentralstaat können gesellschaftliche Veränderungen schließlich
einfach von oben verordnet werden. Aber halten wir für einen Moment in
unseren Reflexen inne.
Nehmen wir die Kühlschränke: Hierzulande wird eine Abwrackprämie ohne
ökologischen Nutzen für Autos gezahlt. Warum eigentlich nicht für
energieeffiziente Haushaltsgeräte, die immerhin auch noch von deutschen
Firmen hergestellt werden (also der heimischen Wirtschaft zugute kämen)?
Und
ist nicht die Abwrackprämie auch ein Eingriff "von oben" gewesen, wenn auch
über ökonomische Anreize?
Lampen: Hier wird in Online-Foren allen Ernstes die Frage diskutiert, ob es
sinnvoll ist, Glühbirnen zu horten, wenn die ersten leistungsstarken
Modelle
ab Januar 2010 vom Markt genommen werden. Nur, weil Energiesparlampen
"kaltes" Licht abgeben (was sie ja längst nicht mehr alle tun)?
Stromtarife: Preisstaffelungen von 1400 Prozent pro Kilowattstunde sind
starker Tobak. Aber ist das nicht ökonomisch höchst rational, Umwelteffekte
über Preise zu steuern?
Überlandmasten von Stromnetzen: Ich erinnere mich noch an den Eklat, als in
einem der letzten Winter in Nordrhein-Westfalen Strommasten unter den
Schneelasten umknickten. Hatte der zuständige Stromversorger nicht
Milliarden auf dem Konto, die in eine Modernisierung hätten investiert
werden können? War das nicht eigentlich der Sinn der Privatisierung der
Energieinfrastruktur, solche Modernisierungen ohne bürokratische Hemmnisse
durch den Staat vornehmen zu können?
Autoritärer Zentralismus hin oder her: Der entscheidende Punkt ist, dass
diese Veränderungen für Millionen Kubaner ein Fortschritt sind. Wir im
Westen sehen hingegen den Umbau zu einem energieeffizienteren System als
Rückschritt. Als Verzicht. Als Einschränkung unserer Freiheit, weiterhin
über unsere Verhältnisse leben zu können.
Wenn Guevara-Stones' Zahlen tatsächlich relevant sind, sind sie beschämend.
Aber nicht, weil sie vom Regime der Castro-Brüder angestoßen wurden.
Sondern
weil wir hier die Freiheit hätten, solche weitreichenden Veränderungen aus
Einsicht, aus freier Entscheidung, ohne Verordnung vorzunehmen - aber sie
nicht schaffen, weil alles im Gezänk über Kosten oder staatliche
Bevormundung endet. Leben wir etwa nicht in der besten, der freiesten aller
Welten? Im effizienteren System? Wollen wir uns damit herausreden, dass der
Markt solche Kraftakte nicht erlaubt?
Ich will nicht missverstanden werden: Kuba ist für mich ein zwiespältiges
Land, in dem vieles im Argen liegt. Und die Modernisierung setzte an einem
technischen Niveau an, dass hier zum Teil seit Jahrzehnten hinter uns
liegt.
Dennoch: Dass ausgerechnet dieses sozialistische Fossil zu solch
einschneidenden Veränderungen fähig ist, bereitet mir Kopfschmerzen. Können
wir das nicht auch?
[1] mailto:nbo-tr@tr.heise.de
[2] http://www.solarenergy.org/resources/articles.html